Auch Ältere greifen immer häufiger zu Drogen
Enquete des Steiermärischen Landtages zu "Suchtverhalten"
Graz. Ein auffallend zunehmender Drogenkonsum bei einer Personengruppe, die bereits älter als 35 Jahre ist, ein enormes Problem im Alkohol- und Nikotinbereich und bei „nicht stoffgebundenen Abhängigkeiten“ wie Spielsucht, dazu die Frage nach der Sinnhaftigkeit von unter dem Deckmantel der Wissenschaft ideologisch geführten Debatten über „Legalisierung von Drogen“, „harte oder weiche Drogen“ und ähnliche gehörten zur breiten Themenpalette in der am 18. Juni 2002 vom Steiermärkischen Landtag veranstalteten Enquete „Suchtverhalten“. Eingeladen hatten dazu Landtagspräsident Reinhold Purr und Landtagsdirektor Dr. Heinz Anderwald.
Bereits der erste Referent, Univ. Prof. Primarius Dr. Herwig Scholz, Leiter der Neurologie am LKH Villach und gleichzeitig Leiter des Suchtkrankenhauses De la Tour in St. Veit an der Glan fand überaus deutliche Worte für die gesamte Problematik. Es bestünde, betonte er, nach wie vor die Tendenz zur kollektiven Verleugnung und Verdrängung des Problems, auch gäbe es noch immer Institutionen, der Ziel eher darin läge, kein Suchtproblem in ihrem Bereich zu sehen anstatt sich mit der Vorbeugung bzw. Förderung Suchtgefährdeter zu befassen.
„Als positiv einzustufen ist“, so der Suchgiftexperte Dr. Herwig Scholz, „der inzwischen weitgehende Konsens nahezu aller verantwortlichen Gruppierungen, dass auf dem Präventivsektor permanente qualifizierte Arbeit erforderlich ist. Denn“ fährt der Primarius fort, „die Zeit muss vorbei sein, wo schauspielerische Fähigkeit, gutes Aussehen und vorgetäuschte naturwissenschaftliche Kenntnisse ausreichen, um Drogenvorträge zu halten.“
Den Konsens sieht auch der für die Drogenproblematik zuständige Gesundheitslandesrat Günter Dörflinger als richtigen Lösungsansatz: „ Wir sind in der Steiermark auf dem richtigen Weg, weil wir ohne ideologische Zwänge eine gemeinsame Basis für die Lösung von Fragen, die außer jedem Streit stehen, gefunden haben. Dieses Engagement ist von wesentlicher Bedeutung.“
Aufhorchen ließ mit ihrem Vortrag auch die Oberärztin Dr. Renate Brosch von der Drogenentzugsstation des Anton Proksch Institutes in Wien: „Es kam bei jungen Menschen in den letzten zehn Jahren zu einer Zunahme des Cannabiskonsums und zu einer Steigerung des Konsums von Amphetaminen und sogenannter Designer Drogen. Bis auf ganz wenige Regionen wird keine signifikante Zunahme des Heroinkonsums beobachtet. Aber“, überrascht die Oberärztin mit ihrer Aussage die zahlreichen Teilnehmer in der Landtagsstube, „ein großes Problemfeld stellen Drogenkonsumenten, die bereits älter als 35 Jahre sind, dar. Diese Gruppe nimmt zahlenmäßig zu.“
Die dauerhafte Drogenabstinenz sei, betonte die Medizinerin, nicht die einzige sinnvolle Definition für einen Behandlungserfolg. Die Substitution, die Verabreichung von Ersatzdrogen, würde bei der Behandlung der Opiatabhängigkeit von immer mehr Klienten in Anspruch genommen.
Über Drogenbekämpfungsstrategien auf nationaler und internationaler Ebene referierte Mag. Karl Lesjak, Leiter der Abteilung für die Bekämpfung von Suchtgift und organisierte Kriminaltät. Die meisten kriminellen Organisationen haben wie in allen anderen EU-Ländern auch in Österreich auf Drogenschmuggel und Drogenhandel spezialisiert. Den Heroin- und Kokainschmuggel teilten sich jahrelang türkische und kolumbianische Organisationen auf, jetzt üben albanische Gruppen einen enormen Konkurrenzdruck aus, in Österreich „kann insbesondere eine verstärkte Präsenz albanischer Straftätergruppen festgestellt werden.“ Und: „Es kann auch eine entsprechende Kooperation zwischen türkischen und kosovoalbanischen Straftätergruppen festgestellt werden.“
Bei der illegalen Produktion von synthetischen Drogen nehmen die Niederlande eine zentrale Rolle ein, auch in Belgien, Deutschland und in Spanien wurden Produktionsstätten entdeckt. Aber auch Staaten wie Polen und Tschechien gewinnen an Bedeutung.
Nach wie vor stellt jedoch Cannabis – Haschisch – die meist verbreitete Droge dar, als Hauptversorger für den europäischen Markt tritt Marokko auf.
Nach den Referaten und Diskussionen traten am Nachmittag vier Gruppen in Workshops zusammen, um die Drogenproblematik eingehend zu erörtern und Lösungsansätze aufzuzeigen. Für den Arbeitskreis „Neue Suchtfaktoren durch Neue Medien“ trat LAbg. Michaela Halper ans Rednerpult, um die Ergebnisse des Arbeitskreises zu präsentieren. Dabei tauchten noch zusätzliche Fragen bezüglich der Definitionen von Sucht auf. „Wann beginnt zum Beispiel eine Internetsucht, ab wie viel Stunden kann man von einer Handy- oder Spielkonsolensucht sprechen?“, stellte Halper offene Fragen in den Raum.
LAbg. Dr. Magda Bleckmann sprach für den Arbeitskreis „Maßnahmen der Suchtpräventiuon“ und meinte, Prävention müsse bereits im Kindergarten beginnen, eine mehrjährige Absicherung von Einrichtungen, die speziell mit gefährdeten Jugendlichen arbeiten, sei unbedingt anzustreben.
Die Landesregierung solle sich aufgerufen fühlen, ein Suchthilfegesetz oder zumindest einen Suchthilfefonds einzurichten, war eine der markanten Forderungen aus dem von LAbg. Mag. Edith Zitz vertretenen Arbeitskreis „Sekundäre-, Tertiärprävention/ gesundheitsbezogene und soziale Maßnahmen“.
Der Polizist und LAbg. Eduard Hamedl trat für Arbeitskreis „Problematik der Suchtgiftkriminalität“ auf und forderte die Erarbeitung eines Maßnahmenkataloges für Steiermark in Abstimmung auf die diesbezügliche EU-Drogenstrategie 2000 – 2004. Von der Fixierung auf ausschließlich illegale Drogen müsse man deswegen abrücken, weil Alkohol noch immer die Droge Nummer 1 sei. Der Drogentherapie sei gegenüber der Drogensubstitution der Vorrang einzuräumen.
Graz, am 19. Juni 2002
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