Lösungskompetenz der Politik stärken
Verfassungsreform aus dem Blickwinkel zukünftiger Herausforderungen
Aktuelle Themen der Landesverfassung wie z.B. das Regierungssystem (Proporz contra Majorz), Kontroll- und Minderheitsrechte sowie die Budgethoheit des Landtages standen im Mittelpunkt der Enquete „Zukunftsorientierte Landesverfassung“, die heute Vormittag im Grazer Landhaus stattfand. Besonderes Augenmerk wurde der Frage nach dem besten Regierungssystem gewidmet. Sollen in Österreich die Länder vom traditionellen Proporzsystem, das alle wichtigen politischen Kräfte in die Regierung einbindet, zum Majorz, also dem Mehrheitssystem, wechseln?
Einig waren sich die Referenten Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner und Univ.-Ass. Dr. Klaus Poier von der Universität Graz, Univ.-Prof. Dr. Klaus Firlei von der Universität Salzburg und Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Brauneder von der Universität Wien nur in folgendem: Ein Wechsel zum Mehrheitssystem müsste unbedingt von einer massiven Stärkung der Rechte der Mitgestaltung, der Kontrolle und der Information der Landtagsparteien und der einzelnen Abgeordneten begleitet werden. Ansonsten würden Parteien, die aufgrund des Systemwechsels aus der Regierung ausscheiden, deutlich geschwächt, da sie neben den Kontroll- und Informationsmöglichkeiten, die eine Regierungsbeteiligung mit sich bringt, auch einen Hilfsapparat und die Verfügung über Förder- und Repräsentationsmittel verlieren.
Firlei, der den Wechsel zum Mehrheitssystem im Land Salzburg genau mitverfolgt hat, plädierte dafür, anstehende Verfassungsreformen „aus dem Blickwinkel der zukünftigen Herausforderungen und nicht aus dem Blickwinkel der Vergangenheit anzugehen“. „Verfassungsreformen müssen dazu dienen, die Lösungskompetenz der Politik in den zentralen Fragen zu stärken. Diese sind: Wie gehen wir damit um, dass die klassischen Gesellschaftsverträge (Generationenvertrag, Geschlechtervertrag) zerbrechen, oder dass die Gestaltungsmöglichkeit der Politik rasant abnimmt?“ Wege aus diesem Dilemma führen laut Firlei nicht über die Findung von Mehrheiten, sondern über den Diskurs. Er forderte neben der Aufwertung des Parlaments, die Rückdrängung des Einflusses der Realverfassung, also der Parteien, weisungsfreie Anwaltschaften für Minderheiten und die Stärkung der Zivilgesellschaft.
Graz, am 15. 5. 2002
Für Rückfragen steht Ihnen als Verfasser bzw. Bearbeiter dieser Information Mag. Inge Farcher unter Tel.: (0316) 877-4241 Fax: (0316) 877-3188 E-Mail: ingeborg.farcher@.stmk.gv.at zur Verfügung