"Umbruch Aufbruch" Eisenerz
Startschuss zum Aufbruch
Die Steiermark im Focus globaler Migration
„Umbruch Aufbruch“ lautet der Titel einer spannenden Ausstellung in Eisenerz: Nicht der Niedergang von Industrieregionen mit seinen negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Infrastruktur steht dabei im Vordergrund, sondern die Chancen, die sich aus der Umstrukturierung der noch eher regional angelegten Industriegesellschaft in die globalisierte Wissensgesellschaft ergeben. Eine ähnliche Ausstellung läuft gleichzeitig in Venedig. Zentrales Element sind Beiträge des von der deutschen Bundeskulturstiftung geförderten Projektes „Schrumpfende Städte“ aus Berlin. Die Ausstellung soll im Jahr 2007 in Graz und mehreren steirischen Bezirkshauptstädten gezeigt werden.
Durchgeführt wird dieses von der EU ko-finanzierte Projekt von einer Arbeitsgemeinschaft, bestehend Dipl.-Ing. Ingeborg Nussmüller und Arch. Dipl.-Ing. Werner Nussmüller (Nussmüller ZT GmbH - Gestaltung), Dipl.-Ing. Richard Resch (Raumplanung) und Mag. Rainer Rosegger (Agentur für Markt- und Gesellschaftsanalytik SCAN) Die „shrinking cities“ (schrumpfenden Städte) Liverpool und Manchester in Großbritannien oder Halle und Leipzig in Deutschland sind internationale Beispiele für schrumpfende und wieder wachsende Städte, deren Aussehen und Größe sich durch Abbruch und Neubau radikal geändert haben. Auslöser dafür war die im vorigen Jahrhundert durch die gesellschaftlichen Entwicklungen entstandene Wanderungsbewegung, weg von den alten Stadtzentren, hin zu neuen Ballungszentren. Ähnliche globale Phänomene ziehen sich in verschiedener Intensität durch die Jahrhunderte.
Innersteirische WanderungsbewegungDerzeit findet in der Steiermark eine Wanderungsbewegung, weg vom ländlichen Raum, hin zu einem sich verdichtenden Ballungszentrum im Raum Graz-Marburg statt, wobei um diese beiden Städte ein „Speckgürtel“ an neuen Vororten und Industrieregionen entsteht. Für die steirischen Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft stellt sich die Frage, welchen Weg sie beschreiten sollen: Können diese Entwicklungen aufgehalten werden? Ist es sinnvoll, zu versuchen sie aufzuhalten? Oder soll man versuchen, auf der Welle dieser Entwicklungen zu reiten und das Unvermeidliche wenigstens zu optimieren.
Es zeichnet sich ab, dass nicht nur Städte schrumpfen und wieder wachsen (können), sondern auch ganze Regionen diesem Prozess unterworfen sein können, wobei die jeweiligen Gebiete untereinander wie kommunizierende Gefäße miteinander verbunden sind. Die Vorstellung des lebenslangen Wohnsitzes im angestammten Lebensraum, „Lebensraumgarantien“ - könnten bald der Vergangenheit angehören.
Die Bürger mit den Chancen und Risken dieser innersteirischen Wanderungsbewegung vertraut zu machen, sie zu ermutigen, sich diesen Risken zu stellen und ihre Chance zu ergreifen, ist die große Herausforderung an die steirischen Entscheidungsträger. Regionale Gestaltungskonzepte werden dabei nicht mehr ausreichen. Globale Konzepte müssen ihnen an die Seite gestellt werden.
Start in Eisenerz
Die Gemeinde Eisenerz repräsentiert den Wachstums- und Schrumpfungsprozess besonders deutlich: Um 1880 betrug der Bevölkerungsstand rund 4150 Einwohner. Durch die Ausweitung des Erzabbaus erreichte er im Jahr 1951 mit ungefähr 13.000 Einwohnern seinen Höhepunkt. Seitdem ist er, begleitet von einem Verlust an Lebensqualität durch die Ausdünnung der Infrastruktur, kontinuierlich auf 5.886 Einwohner zurückgegangen. Alleine im Zeitraum zwischen 2001 und 2005 sank die Einwohnerzahl um 10 Prozent. 20 Prozent der vorhandenen Wohneinheiten stehen leer.
Die Abteilungen 16 (Landes- und Gemeindeentwicklung), 15 (Wohnbauförderung) und 9 (Kultur) der Steiermärkischen Landesregierung erarbeiten nun zusammen mit dem Projektteam der Ausstellung „Umbruch Aufbruch“ eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektive für die Region Eisenerz. Die internationalen Erfahrungen rückgebauter Städte, wie Manchester und Liverpool in Großbritannien oder Halle und Leipzig in Deutschland, sollen dabei berücksichtigt werden. Seitens der Abteilung 16 kommen dabei die Förderinstrumente LEADER+ und die integrierte Regionalentwicklung zur Anwendung. Ein gemeinsam mit den Bürgern von Eisenerz erarbeiteter Entwicklungsplan sieht vor, dass, mit Beginn des Jahres 2007, in den darauf folgenden 15 Jahren 500 Mietwohnungen rückgebaut werden. Mit dem Rückbau nicht mehr genützter Wohngebäude sollen das Image der Stadt und das Lebensgefühl der Bevölkerung von der industriellen Vergangenheit auf die wissensbasierte Zukunft hin orientiert werden. Parallel dazu soll durch ein aktives Management ein Nutzungskonzept für sanierungswürdige Gebäude erstellt werden, das diesen neue Funktionen innerhalb der Siedlung oder auch des weiteren Umfeldes zuweist. „Auch durch die Globalisierung darf sich die Politik nicht zur Verwalterin des Stillstandes in einer Region degradieren lassen. Sie kann und muss die Rahmenbedingungen für die notwendigen Neuorientierungen schaffen“, sagt Landeshauptmann Mag. Franz Voves, der die mit der Ausstellung verbundene Initiative „redesign Eisenerz“ im Sinne der Umsetzung des Konzeptes „Steiermark der Regionen“ voll unterstützt.
Internationaler Wettbewerb „Eisenerz 2021“Ein internationaler Wettbewerb dazu wurde von der Abteilung 16 bereits ausgeschrieben: Basierend auf der Idee „redesign Eisenerz“, sollen die beinahe 50 angemeldeten interdisziplinären Teams, bestehend aus Architekten, Stadtplanern, Soziologen, Wirtschaftswissenschaftern und Künstlern den Glauben an ein quantitatives Wachstum durch das Vertrauen auf ein qualitatives Wachstum ersetzen. Die (scheinbare) Geborgenheit in einer langfristigen Planung, wie in der Vergangenheit, soll durch ein Erlernen eines einigermaßen sicheren Umganges mit sich oft rasch abwechselnden kurzfristigen Perspektiven ersetzt werden. Die Bürger von Eisenerz dort abzuholen, wo sie derzeit materiell und emotional stehen und auf diesen Weg mitzunehmen, ist das gesellschaftliche Ziel, das den Wettbewerbsteilnehmern gesetzt ist. Eisenerz kann auf diese Weise auch von einer durch ihre Lage benachteiligten Gemeinde zu einem Präzedenzfall für eine gesamtsteirische Entwicklung werden.
Umbruch, Aufbruch in der Wirtschaft
Produktivitätssteigerungen durch den technischen Fortschritt und die Globalisierung haben die großen, alten und lange vertrauten Industriestrukturen verschwinden und neue kleinere und effizientere Produktionsstrukturen entstehen lassen. Dass dabei die Bedürfnisse des Einzelnen über weite Strecken zu einer Funktion (angeblicher) wirtschaftlicher Erfordernisse geworden sind, ist eine Herausforderung an Wirtschaft und Gesellschaft zugleich.
In den kleineren und mittleren Betrieben in Kapfenberg etwa gibt es heute mehr Arbeitsplätze, als zur Zeit der Verstaatlichten Industrie. Trotzdem hat diese Stadt seit der Volkszählung 1991 einen deutlichen Anteil der Bevölkerung eingebüßt.
Gemeinden als WirtschaftsbetriebeGemeinden mit ihren Ver- und Entsorgungseinrichtungen sind ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Das Wachsen und Schrumpfen von Siedlungsräumen stellt an sie eine gewaltige Herausforderung dar: Wenn etwa in Eisenerz in manchen Wohnhäusern auch nur mehr ein Bruchteil der Wohnungen bewohnt wird, muss trotzdem die gesamte Infrastruktur aufrechterhalten werden. Die kostendeckende Führung von Infrastrukturbetrieben wird dadurch erschwert.
Von den 542 steirischen Gemeinden haben 182 weniger als 1.000 Einwohner. 65 Gemeinden haben weniger als 500 Einwohner. In diesem Bereich wirtschaftliche sinnvolle Organisationseinheiten zu schaffen, ist die große Herausforderung an die Landes-, Regional- und Kommunalentwicklung.
Wettbewerb unter den GemeindenIn Bezug auf Betriebsansiedlungen existiert bereits seit langem ein Wettbewerb unter den Gemeinden. Dieser Wettbewerb breitet sich auf ein Werben um den Bürger als Gemeinde-Einwohner aus. Damit können innovative Ideen umgesetzt werden. Gleichzeitig können die Versorgungs- und Lebensqualität verbessert und so die Attraktivität der Regionen gesteigert werden.
Gemeinwesen als WirtschaftsfaktorEin lebendiges Vereinswesen und die Förderung ehrenamtlicher Tätigkeiten werden sich in Zukunft zur Verstärkung der Versorgungsleistungen im Nahbereich weiterentwickeln müssen. Angebote an Junge und Alte im Bereich der Fest- und Veranstaltungskultur sind dabei notwendig.
Ein neu organisiertes Gemeinwesen benötigt auch multifunktionale Einrichtungen, in denen mehrere Dienste gebündelt sind, wie zum Beispiel ein Lebensmittelgeschäft im Verbund mit der Post und einem Cafe.
Gesellschaftlicher Umbruch Wirtschaftliche Entwicklungen bringen über größere zeitliche und räumliche Fristen hinweg immer ein Ausgleich in der Güterproduktion und Güterverteilung und einen damit verbundenen größtmöglichen Wohlstand für eine größtmögliche Anzahl von Bürgern. Das Problem dabei sind die kurzen Fristen, die Perioden des Überganges etwa von einer landwirtschaftlich dominierten, in eine von der industriellen Produktion dominierte Gesellschaft. Diese Zeiträume sind mit massiven erzwungenen Umstrukturierungen für den Einzelnen verbunden, gegen die er machtlos ist: der Verlust des Arbeitsplatzes, erzwungener Wechsel des Arbeitsbereiches, oft ein damit verbundener Wechsel des Wohnsitzes – die Aufgabe gewohnter Lebensabläufe. Mit dem derzeit ablaufenden Wechsel von der eher regional organisierten Industrie- zur global organisierten Wissensgesellschaft, ist für den einzelnen Bürger ein radikaler Wechsel seiner unmittelbaren Lebenswelt verbunden: Alte Gewohnheiten, (vermeintlich) vertraute Sicherheiten fallen. An ihre Stelle muss das Erlernen des Kalkulierens von Unsicherheiten, etwa bezüglich des Arbeitsplatzes und des Wohnsitzes treten. Im Arbeitsbereich zeigt sich folgender Megatrend: Der Arbeitskräfteaufwand in der Grundstoffproduktion ist rückläufig. Im Industriebereich stagniert und im Dienstleistungsbereich steigt er. Damit ändern sich Berufsbilder und Ausbildungsschemata. Innersteirische Migration Im 20. Jahrhundert wuchs die steirische Bevölkerung von rund 900.000 Einwohnern auf ihren Höchststand von rund 1,2 Millionen. Seither schrumpft die Bevölkerung kontinuierlich. Man rechnet, dass im Jahr 2031 wieder der Bevölkerungsstand von 1970 erreicht werden wird. Derzeit verlieren die steirischen landwirtschaftlichen Gebiete und der Industrieraum der Mur-Mürzfürche (trotz in vielen Bereichen steigender Produktivität) Einwohner, während der Großraum Graz/Marburg an Bedeutung als Lebensraum gewinnt.
Lebensraum Wohnung In der Steiermark ist der Grundbedarf an Wohnraum im Großen und Ganzen gedeckt. Die nächsten Herausforderungen liegen in einer qualitativen Verbesserung des vorhandenen Wohnraumes und der Neuverteilung der Ballungszentren innerhalb der Steiermark. „Wohnungen sind nicht nur Unterkünfte. Sie sind der ganz persönliche Lebensraum des Menschen, in dem er einen Großteil seines Lebens verbringt. Mit dem Projekt ‚redesign Eisenerz’ wollen wir Ideen für eine Neugestaltung des Lebensraumes speziell für die Bewohner der Region Eisenerz entwickeln“, misst Landesrat Johann Seitinger diesem Pilotprojekt große Bedeutung bei. Lebensräume mit neuem Gesicht Mit dieser Entwicklung ist auch ein Wandel im Erscheinungsbild der unmittelbaren Lebenswelt des Bürgers verbunden: Nicht mehr benötigte Gebäude werden abgerissen oder erhalten neue Funktionen – Industriegebäude werden für künstlerische Zweck genutzt oder als Wohngebäude adaptiert. Die Aufgaben von Gemeinden mit einer hohen Abwanderungsrate werden reduziert. Gemeindekooperationen auf den verschiedensten Ebenen kommunaler Aufgaben werden in absehbarer Zeit notwendig sein. Damit ändern sich auch die gesellschaftlichen Bindungen des Einzelnen. Die neuesten Informationstechniken werden die Kommunikationsformen- und Gewohnheiten der Gesellschaft radikal ändern. Ob sie eine Verdichtung der persönlichen Kommunikation des Einzelnen bringen oder eine individuelle Vereinsamung bewirken, ist noch nicht entschieden. Weitere Initiativen in Eisenerz: 8. September 2006
Fachsymposion im Innerberger Gewerkschaftshaus
Eröffnung der Ausstellung „Umbruch Aufbruch“ (9. September bis 10. Dezember) im Stadtmuseum Eisenerz
25. Oktober
Forum der Wohnbundes Steiermark im Stadtmuseum Eisenerz
21. NovemberBürgermeistertagung in Kooperation mit Städte- und Gemeindebund im Innerberger Gewerkschaftshaus
27. NovemberPräsentation der Wettbewerbsergebnisse „Eisenerz 2021“ im Stadtmuseum Eisenerz
Graz, am 8. September 2006
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