Nicht auf Amerika verlassen
Vortrag in Graz: Islam-Experte Scholl-Latour fordert Selbstbesinnung Europas
Graz.- Bei seinem Vortrag am Freitag, dem 7. Oktober, in der Grazer Burg auf Einladung von Landeshauptmann Waltraud Klasnic spannte der Islam-Experte, Prof. Dr. Peter Scholl-Latour, einen weiten Bogen über die komplizierten Zusammenhänge und Gefahren in den Beziehungen zwischen der islamischen und europäischen Welt. Ausgangspunkt war die aktuelle Frage nach der Zugehörigkeit der Türkei zu Europa. Hier hob er die Courage Österreichs hervor, Dinge klar beim Namen zu nennen.
Die offenen Punkte in den Beziehungen der westlichen Welt zur Türkei ließen sich keineswegs auf Probleme mit Extremismen reduzieren, sondern betreffen auch wirtschaftliche, kulturelle und soziale Ebenen. Europa müsse sich weiters klar sein, dass seine Grenzen mit einem Betritt der Türkei direkt an die Krisenherde des Nahen Ostens verschoben würden. In diesem Zusammenhang hob er auch Gefahren des Konfliktpotentials zwischen den türkischen und arabischen Völkern hervor. Scholl-Latour betrachtet eine Annäherung der Türkei an die Staaten des Ostens mit einem starken Anteil an türkischer Bevölkerung als sinnvoller, als eine Annäherung an die EU. Für diese sieht er die Bush-Administration als treibende Kraft und fordert im Gegensatz dazu eine Selbstbesinnung Europas auf seine eigene Identität: „Europa soll sich nicht nur auf Amerika verlassen!“ Die Ablehnung der Europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlanden sieht er als Warnung vor einem Einigungs- und Erweiterungsprozess an den europäischen Bürgern vorbei.
Die Auseinandersetzung des Westens mit der islamischen Kultur sei nur ein Teil des weltweiten Konfliktpotentials. „Eine Ursache für kriegerische Auseinandersetzungen ist vor allem auch die `Zivilisation der Gier` in Zusammenwirkung mit der Globalisierung“, sagt Scholl-Latour. Für ihn folgte auf das Versagen des Kommunismus die durch die Globalisierung ausgelöste Krise der Marktwirtschaft. China sei die kommende Weltmacht, der die USA nicht gewachsen sein würden. Dies zeige sich, so Scholl-Latour, in den Handelskonflikten und der Reaktion des Ölpreises auf den Eintritt Chinas in den globalen Markt.
Die Analyse Peter Scholl-Latours, eines der besten Kenner besonders der islamischen, aber auch der übrigen globalen Konfliktherde, beleuchtete die Weltpolitik in nicht allzu hellem Licht. Es herrschten eher die Schatten der Zukunft vor. Sie verdeckten auch die Antworten auf die offenen Fragen.
Graz, am 7. Oktober 2005
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