"Gelungen, wenn auch nicht tadellos"
Festveranstaltung "85 Jahre Bundesverfassung" in der Alten Aula

Graz.- Anlässlich des Jubiläums „85 Jahre Bundesverfassung“ hielt Verfassungsgerichtshofpräsident Univ.-Prof. Dr. Karl Korinek am Montagabend vor zahlreichen Festgästen einen Vortrag über die Österreichische Bundesverfassung in der Aula der Alten Universität. Korinek spannte einen weiten geschichtlichen Bogen von den Ursprüngen wie etwa der Gründung des Verwaltungsgerichtshofs 1875 und der Einführung des allgemeinen, direkten Wahlrechts 1907 bis hin zur Arbeit des Österreichkonvents. Zur ersten Bundesverfassung von 1920 zitierte Korinek den Präsidenten der Konstituierenden Nationalversammlung Karl Seitz: „Alle Schichten der Bevölkerung und Parteien heißen das gelungene, wenn auch nicht tadellose Werk für gut.“
Diese erste Bundesverfassung sollte die Grundlage für eine funktionierende Konkurrenzdemokratie
bilden, doch dieser erste Versuch scheiterte. Korinek zählte mehrere Gründe dafür auf: Die Zweifel an der Lebensfähigkeit des österreichischen Staates, die hohe Arbeitslosigkeit, das Misstrauen gegenüber dem anderen politischen Lager, das den Aufbau jeweils eigener paramilitärischer Schutztruppen zur Folge hatte, und die Angst vor dem Machtmissbrauch des Staates. „Die Verachtung breiter Kompromisse und die Eskalation des Gegeneinander führten 1927 zum Brand des Justizpalastes und erreichten im Februar 1934 ihren traurigen Höhepunkt,“ so Korinek. Im März 1934 endete der Parlamentarismus in Österreich und im März 1938 die Souveränität Österreichs durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Auch im zweiten Weltkrieg ruhte die Verfassung, nicht aber das Volk. In den Gefängnissen, Konzentrationslagern und Zirkeln des organisierten Widerstands wuchs die Überzeugung einstiger erbitterter politischer Gegner, dass die Beendigung der Naziherrschaft und der Neuaufbau Österreichs nur gemeinsam gelingen könne. Diese Stimmung versuchte Korinek mit folgender Geschichte zu illustrieren: „Einem Häftling gelang die Flucht aus dem Konzentrationslager. Seine Kameraden wussten das und wollten es vor den Nationalsozialisten geheimhalten, also verrückten sie die Betten. Nun musste aber auch die Personalakte verschwinden. Der Zuständige war einverstanden und veranlasste das Nötige. Beide Männer riskierten ihr Leben: Ihre Namen waren Alfons Gorbach und Franz Olah.“
Am 27. April 1945 proklamierten die drei nicht faschistischen Parteien die Unabhängigkeitserklärung und erklärten den Anschluss Österreichs an Deutschland für null und nichtig. Korinek: „Im Geiste der Verfassung von 1920, in der Fassung von 1929, wurde die Republik Österreich ausgerufen. Die Protagonisten handelten im Vertrauen, dass bei einer entsprechenden demokratischen Gesinnung die Verfassung funktioniert.“ Die gleiche Verfassung, die zuvor scheiterte, bildete nun die Basis für den Wiederaufbau Österreichs.
50 Jahre nachdem der letzte Besatzungssoldat abgezogen ist, müsse man feststellen, so Korinek, dass eine „selbstverständliche Akzeptanz unserer Verfassung“ die Bürgerinnen und Bürger heute abstumpfe. Auch wolle er unschöne juristische Fehlleistungen nicht bagatellisieren. Sein Wunsch sei es daher, die Staatsordnung an die heutigen Umstände anzupassen und die Vorarbeit des Österreichkonvents weiterzuführen.
In seinen Schlussworten sprach Landesamtsdirektor Univ.-Prof. Dr. Gerhart Wielinger von der neuen politischen Ära, die die steirische Landtagswahl gebracht hätte. Eine solche Entscheidung sei für manche Personen sehr schmerzhaft, andere jubeln, aber sie werde von allen akzeptiert. „Das ist die Leistung einer gelebten Verfassung und Demokratiekultur. Der Preis, den wir für diesen Prozess bezahlen mussten, war sehr hoch, aber nicht vergebens.“
Graz, am 4. Oktober 2005
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