Gehört Gott in die Verfassung?
Der Konvent und die Zukunft Europas

Graz - In einem Jahr wird die Europäische Union um zehn Mitgliedsländer mehr zählen – damit umfasst sie 25 Staaten. Um auch in der Zukunft diesen riesigen Raum sicher, demokratisch und sozial gestalten zu können, wurde ein Konvent ins Leben gerufen der sich intensiv mit einer Reform der Union beschäftigt. Sie soll nach dem Willen des Europäischen Parlaments in einer Verfassung für die Europäische Union festgeschrieben werden.
In einer Podiumsdiskussion am vergangenen Wochenende mit dem Titel „Wird Europa sicherer, sozialer und demokratischer?“, zu der Landeshauptmann Waltraud Klasnic in die Grazer Burg geladen hatte, nahmen Mitglieder des Europäischen Parlaments und Experten zum Stand der Verhandlungen Stellung. Univ.-Prof. Dr. Hubert Isak vom Institut für Europarecht der Universität Graz führte in die Probleme ein; es gebe drei große Bereiche beim Thema „Sicherheit“: Sicherheit nach außen, Außenpolitik und Sicherheit nach innen. Hierher gehörten die schwierigen Fragen der sogenannten friedenserhaltenden Einsätze, der Beistandspflicht, der Euro-Verteidigungszone und welche Person(en) diesen Komplex repräsentieren soll(en).
Beim Thema „Soziales“ gehe es hauptsächlich um die Unterstützung der Mitgliedsstaaten; die Sozialpolitik bleibe nationale Aufgabe, allerdings nach dem Wertekatalog der EU.
Zum Punkt „demokratisch“: Ein Defizit an demokratischen Elementen sei seit Jahren feststellbar; besonders schmerzlich für das EU-Parlament, das realistisch betrachtet kein „Vollparlament“ werden wird. Damit hängt auch die Frage zusammen, ob es in Zukunft europäische Gesetze beschließen können wird – und es nicht nur von der EU-Kommission erlassene Verordnungen gibt.
Univ.-Prof. Dr. Reinhard Rack, Abgeordneter zum Europaparlament aus der Steiermark, verwies darauf, dass der zeitliche Druck auf den Konvent – bis Juni 2003 soll ein Textentwurf zur EU-Verfassung vorgelegt werden – heilsam sei: Das Ergebnis werde , trotz der unzähligen Abänderungsanträge, zeitgerecht den einzelnen Regierungen zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
Die Abgeordnete zum Nationalrat, Dr. Eva Lichtenberger, möchte besonders die „Subsidiarität“ als Mittel der Selbstbehauptung für Städte und Gemeinden in der fast nicht überschaubaren Vielfalt der Nationalstaaten und noch mehr der Regionen stärken. Harald Ettl, Mitglied des Europäischen Parlaments, erinnerte daran, dass es eine neue Metropole der Macht, nämlich Brüssel statt Moskau, gebe. Die Rechte des Europäischen Parlamentes sollten gestärkt werden, vor allem im Sinne einer Kontrolle der ausgegebenen Gelder. Wie der frühere Kommissionspräsident Jacques Delors betont hatte, müssten Soziales und Wirtschaft gleichrangig sein.
Breiten Raum nahm in der Diskussion auch die Frage einer zukünftigen „Doppelpräsidentschaft“ der Europäischen Union ein. Soll einem starken Kommissionspräsidenten, der dem EU-Parlament verantwortlich ist, ein aus der Reihe der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten (= Europäischer Rat) kommender „Ratspräsident“ gegenüberstehen?
Auf die Frage, ob auch Gott (oder ein vergleichbarer Begriff) in die zukünftige Verfassung gehöre, gab es keine eindeutige Auskunft. Dabei steht die in der Grundrechtscharta enthaltene Religions- und Glaubensfreiheit wohl außer Streit. Ganz anders verhält es sich aber mit einer Bezugnahme auf Gott in der Präambel einer solchen Verfassung – man denke nur an die unterschiedlichen Positionen so stark in ihrem öffentlichen Leben religiös geprägter Staaten wie Polen oder Irland im Vergleich zu den laizistischen Traditionen Frankreichs oder der Niederlande. Ein Hinweis auf die den Kontinent Europa unverwechselbar prägenden jüdisch-christlichen Wurzeln wäre aber für das Selbstverständnis einer „Wertegemeinschaft“ – wie sie ja immer wieder beschworen wird – wohl mehr als gerechtfertigt.
Graz, am 11. März 2003
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