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"Ukraine, Polen und Russland: Jenseits von Krieg und Frieden"

Nationialismus als toxische Flaschenpost der Vergangenheit

Polnischer Honorarkonsul a.D. Gerold Ortner, Prof. Roman Dubasevych und Historiker Stefan Karner, v.l.
Polnischer Honorarkonsul a.D. Gerold Ortner, Prof. Roman Dubasevych und Historiker Stefan Karner, v.l.
© steiermark.at / Farcher, bei Quellenangabe honorarfrei

Graz (20.11.2018).-  Eine eindringliche und aufrüttelnde Analyse der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Ukraine, Polen und Russland lieferte gestern Abend der gebürtige Ukrainer Roman Dubasevych. Dubasevych, Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhls für Ukrainische Kulturwissenschaft an der Universität Greifswald, sprach auf Einladung des Europaressorts des Landes Steiermark, der Universität Graz und des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung vor rund 170 Zuhörenden im Resowi-Zentrum. Dubasevych, der der Steiermark seit langem verbunden ist - er arbeitete Ende der 90iger Jahre sogar als Praktikant in der Europaabteilung -, warnte davor, dass alte Ressentiments und Nationalismen wie eine "toxische Flaschenpost" der Vergangenheit zurückkehren.

Kernthese seiner Ausführungen, die Dubasevych mit vielen Beispielen untermauerte, ist das Gefühl von Teilen der Gesellschaft in der Ukraine, Polens und Russlands, in der neuen Weltordnung benachteiligt zu sein. "Die Erosion der Demokratie und des Rechtsstaats in den genannten Ländern hat auch mit einem verzerrten Bild der eigenen Vergangenheit beziehungsweise ihrer mangelnden Aufarbeitung zu tun. Diese Gesellschaften neigen dazu, die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen der Gegenwart durch die Brille ihrer historischen Traumata zu betrachten und finden Antworten, die wenig mit Rationalität zu tun haben." Durch die von der Politik teils bewusst betriebene Verschärfung der Konflikte gleite eine ganze Nation in eine Art Parallelleben ab, das sie wie in einem historischen Computerspiel isoliere.

Sicherheitsgefühl versus Demokratie und Rechtsstaat

In Polen, der Ukraine, aber auch in Russland sei der Kern des Problems, dass sich die Reformer und politischen Eliten zu wenig um die Verlierer des Wandels gekümmert hätten, die verarmten und sich um ihre Hoffnungen betrogen sahen. "Auch die russische Führung reagierte auf die wachsenden inneren und äußeren Spannungen mit den Beschwörungen von Einheit und Bedrohung. Einen Teil seiner Legitimität bezog Vladimir Putin aus dem Versprechen, Russland nicht nur zu erhalten, sondern ihren Status als geopolitische Supermacht zu erneuern." Generell sei zu sehen, wenn Menschen sich bedroht fühlen, sind sie bereit, für das Versprechen der Sicherheit, die hart erkämpfte Demokratie und den Rechtsstaat auf das Spiel zu setzen.

Auch sein Resümee der ukrainischen Situation mag so manchen Zuhörer überrascht haben. "Die Revolution fraß nicht ihre Kinder; sie überschätzten sich selbst und unterschätzten die politische Komplexität des Konflikts. Eine Annäherung an Russland wird sofort als Verrat am ukrainischen Staat und vor allem an den zahlreichen Opfern interpretiert; die Kompromißvorschläge aus dem ehemaligen Janukowytsch-Lager wirken nicht unbedingt glaubwürdig. Eine Sackgasse, in der das Land erstarrt ist, und wörtlich zu verbluten droht. Aber eine Lehre aus diesem unmöglichen Krieg ist, dass die Gewaltanwendung selbst zum Schutz der Demokratie oder als Verteidigung gegen den aggressiven Nachbarn eine schwere Hypothek hinterlässt. Die Gewalt aus den Gräben kehrt nicht nur in die Straßen der Städte in Form von steigender Kriminalität, sozialer Probleme oder Militarisierung des politischen Lebens. Sie raubt der ukrainischen Gesellschaft die Hoffnung, die nur ein friedlicher, ziviler Verlauf der Dinge wiederherstellen kann."

Deshalb kommt Dubasevych zu einem wie er selbst sagt - paradoxen - Schluss: "Der Schwächere muss sich bewegen. Und hier trägt die Ukraine nicht nur Verantwortung für das Leben ihrer Bürger, sondern auch für den Rest Europas. Im Falle der Eskalation wären die Kosten eines neuen globalen Krieges horrend. Diese skizzierten Zustände mögen die Vorurteile gegenüber dem barbarischen Osteuropa bestätigen, das nie zum Frieden findet. Aber beim genauen Hinsehen würde man feststellen, dass dieser Konflikt einem irgendwie vertraut vorkommt - wie eine toxische Flaschenpost aus den letzten zwei Jahrhunderten, in denen die Nationen mit Gewalt um ihre Interessen und Territorien stritten. Dies ist der alte Schatten Europas, der nun als Bumerang zurückkehrt und die Situation in diesen Ländern zu unserer gemeinsamen Aufgabe macht."

Den gesamten Vortrag können Sie  hier nachlesen.

Unter  diesem Link geht  es zur Website der Universität Greifswald.

Graz, am 20. November 2018

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